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Myzel auf Fichtenwurzel. Das Pilzmyzel ermöglicht einen Austausch zwischen dem Pilz und der Pflanze. Während Pilze den Bäumen Wasser, Stickstoff, Phosphor und Mineralstoffe liefern, geben die Bäume ihnen im Gegenzug Zucker ab. Fotos: Patrik Mürner

Verband & Politik | ZeitschriftenLesezeit 4 min.

Mykorrhizapilze: unerkanntes Potenzial für die Aufforstung

Gedeihen Bäume vital und kraftvoll, leben sie in Symbiose mit ihren Mykorrhizapilzen. In Schutz- und Bannwäldern, wo zuverlässiger Wuchs essenziell ist, können Wurzeln von Jungbäumen gezielt damit beimpft werden. Dieses Verfahren wird nun verfeinert.

Sarah Sidler | Es scheint, als würde das Potenzial der Pilze langsam, aber sicher erkannt werden. Artikel und Sendungen über die Lebewesen zwischen Tier und Pflanze häufen sich. Zum Teil enthalten die Überschriften Wunder versprechende  Begriffe wie «Superhelden», «Weltretter» und «Heilsversprecher». Patrik Mürner von Mycosuisse, dem Kompetenzzentrum für angewandte Mykologie, leistet seit rund fünf Jahren Pionierarbeit im Gebiet der Pilze, über Myzel und die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben.  

Er freut sich, dass das Potenzial der Mykorrhizapilze in Wirtschaft und Forschung zunehmend Beachtung findet. «Pilze sind Alleskönner. Unter anderem sanieren sie Böden, ersetzen umweltschädigende Werkstoffe wie Beton, erhöhen die Leistung von Äckern und verhelfen Jungbäumen zu einem gesünderen Start ins Leben», sagt er. 

Schutz- und Bannwälder stärken

In der Forstwirtschaft sieht Patrik Mürner besonders an Extremstandorten, in Zonen mit wenig Niederschlägen, in Kalk-Karstböden mit durchlässigen Substrat oder in Bergwäldern grosses Potenzial, um die Wurzeln von Jungbäumen bei der Pflanzung zu stärken. «Eine Beimpfung mit den entsprechenden Mykorrhizapilzen ist sinnvoll in Schutz- und Bannwäldern nach Murgängen, Lawinenereignissen oder Bränden, wo man auf einen zuverlässigen Wuchs angewiesen ist», sagt er. Eine Mykorrhiza, oder Pilzwurzel, entsteht, wenn ein Pilz die feinsten Wurzeln von Pflanzen mit einem Pilzmyzel oder -geflecht umhüllt und so einen Austausch zwischen Pilz und Pflanze über die Wurzeln ermöglicht. Gehen die Jungbäume mit den Mykorrhizapilzen eine Verbindung ein, werden sie mit einem x-Fachen mehr an Nähr- und Mineralstoffen sowie Wasser beliefert, als es ohne diese Symbiose der Fall wäre. Denn die Pilze erschliessen eine fünf- bis zwanzigfache Fläche der Wurzeln der Bäume und beliefern diese mit den erwähnten Stoffen. «Dank dieser Symbiose wachsen die Jungbäume zuverlässiger an, sie können sich besser gegen die Krautschicht durchsetzen, ihre Abwehrkräfte gegen Schädlinge sind stärker, und es gibt weniger Ausfall, etwa durch Vertrocknen», erläutert Patrik Mürner. Obwohl das Überleben der Jungpflanzen im Vordergrund steht, merkt er an, dass Mykorrhizapilze den Pflanzen zu einem 5 bis 20% schnellerem Wachstum verhelfen.

Marco von Glutz, Forstingenieur bei der Firma oeko-b AG in Stans (NW), machte bisher gute Erfahrungen mit Mykorrhizapilzen. «Wir sind in den Bereichen Wald, Umwelt und Naturgefahren tätig und erhalten regelmässig Anfragen zur Beratung von Rekultivierungen an extremen Standorten in der Zentralschweiz», erläutert er. So habe er mit einem fertigen, mit Pilzsporen versehenen, Präparat der Inoq GmbH gute Erfahrungen gesammelt. «Es verhilft beispielsweise bei einer Rekultivierung und Aufforstung auf extrem basischem Boden einer Gipsgrube zu deutlich weniger Ausfällen, bestätigte mir der lokale Revierförster», sagt Marco von Glutz. Weiter wurde ein vergleichbares Mykorrhizapräparat erfolgreich bei der Rutschung in Hergiswald in Kriens (LU) eingesetzt. Aktuell laufen Abwägungen zum Einsatz des Präparats aus Mykorrhizapilzen für die Aufforstung von rund 1000 Jungbäumen im Bereich einer Grossrutschung in Sachseln (OW), auf deren Fläche grossräumig Rohboden ohne nennenswerte organische Auflage vorliegt. 

«Die Mehrkosten für den Einsatz von Mykorrhizapräparaten halten sich in einem guten Rahmen», sagt der Forstingenieur. So kostet ein Kübel à fünf Kilogramm für 300 bis 400 Pflanzen rund 150 Franken. Klar ergibt sich ein zusätzlicher Arbeitsaufwand zur Einbringung. Doch es gehe finanziell auf, da weniger Bäume ausfallen. 

Wirkung optimieren mit Einheimischen

Auf der Fläche werden dem Pflanzloch jeweils zwei Esslöffel des Präparats, was ungefähr 14 Gramm entspricht, beigegeben, bevor der Jungbaum eingesetzt wird. Es gebe jedoch auch die Möglichkeit, das Präparat mit Wasser zu vermischen und die Wurzeln vor der Pflanzung kurz darin einzutauchen. 

Um die Wurzeln der Jungbäume mit einheimischen Mykorrhizapilzen impfen zu können, ist Marco von Glutz an der Initiative des Mykologen Patrik Mürner zur Herstellung von einheimischen Mykorrhizapräparaten sehr interessiert. Dieser könnte ihm innerhalb eines halben Jahres Pilzsporen zur Verfügung stellen, die natürlicherweise mit den hiesigen Bäumen eine Verbindung eingehen. Durch eine auf die Pflanzenart, die Standorts- und die Bodeneigenschaften angepasste Pilzmyzelmischung sieht Marco von Glutz Potenzial für eine zusätzliche Optimierung der Wirkung. 

Zukunftsbäume stärken

Patrik Mürner ist der Meinung, dass es in Zukunft sogar Sinn ergebe, bereits die Wurzeln der Jungbäume in den Baumschulen mit ihren Pilzen zu versehen. «Das kommt günstiger, und die Bäumchen kommen bereits gestärkt in den Waldboden.» Im Idealfall hätten sich zudem bereits die zum jeweiligen Baum dazugehörigen Bakterien und Pflanzen gebildet. Der Mykologe sieht im Einsatz von Mykorrhizapilzen eine grosse Chance in der Forstwirtschaft im Zusammenhang mit dem Klimawandel. «Diese könnten Zukunftsbäumen zu einem besseren Start an neuen Standorten verhelfen.» Denn jede Baumart benötigt für ein widerstandfähiges Wachstum die zu ihrem Ökosystem gehörenden Pflanzen, Tiere und Pilze. So reicht es nicht aus, Zukunftsbäume wie Edelkastanien in der Nordschweiz oder Lärchen anstatt Fichten in den Voralpen einfach in den Boden zu setzen – sie benötigen weiter die Lebewesen ihres natürlichen Ökosystems, um gesund und widerstandsfähig zu gedeihen.

Der Mykologe ist ein Tüftler. So stellt er in seinem Labor in Emmenbrücke (LU) aus Pilzen unter anderem Spanplatten für den Hausbau her. Die Weissrottepilze ernähren sich in seiner Werkstatt unter anderem von Abfällen aus der Holzindustrie – etwa von Sägemehl – und breiten sich dann in entsprechenden Plattenformen aus. Haben die Weissrottenpilze ihre Arbeit getan, wird die Platte erhitzt, und die Pilze sterben ab. Was bleibt, sind ultraleichte und trotzdem äusserst stabile Platten. Ein erstes Haus im Luzernischen ist in Planung. Für Holz verarbeitende Betriebe sieht Patrik Mürner insofern eine Chance darin, als diese ihre Holzabfälle nicht mehr verbrennen müssten, sondern upcyceln könnten. Nun wird klarer, warum von Weltrettern gesprochen wird: Pilzgebundene Baustoffe speichern umweltfreundlich eine riesige Menge an Kohlenstoff.  

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